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Appell an die Demokratie

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Abschrift unserer Rathausrede vom Februar 2024

Anfang diesen Jahres fanden sich in ganz Deutschland Millionen von Menschen zusammen, um gemeinsam gegen den Rechtsruck in der deutschen Politik, und gegen die immer extremistischeren Anschauungen und Aussagen von Vertretern der rechten Seite zu demonstrieren. Auch bei uns zuhause in Meckenheim versammelten wir uns unter dem Motto “Nie wieder ist jetzt—Meckenheim für Haltung und Demokratie”. Dabei hatten ich und zwei weitere meiner Mitschülerinnen die Möglichkeit, vor den versammelten Demonstrant*innen eine Rede zu halten. Geschrieben wurde diese von Shirin Agha-Baglooie, Johanne Wolowski, Hannah Grote und mir. Am 3. Februar 2024 durften Shirin, Johanne und ich die Rede in drei Teilen vor dem Meckenheimer Rathaus halten. Dabei äußerten wir uns zur Stärkung der Demokratie, insbesondere in Form von Partizipation durch Wahlen.

In Anbetracht der bevorstehenden Neuwahlen des Bundestags ist dieses Thema erneut wichtiger denn je. Deswegen wollte ich unsere Rede an dieser Stelle ein weiteres Mal veröffentlichen. Die Überzeugungen von mir und meinen Mitschreiberinnen haben sich im vergangenen Jahr nicht verändert, lediglich ist die Wichtigkeit gewachsen, diese Überzeugungen zu äußern.

Freie, gleiche und geheime Wahlen sind ein Privileg, dass wir glücklich genug sind, genießen zu dürfen, und unser demokratisches System ist weder selbstverständlich noch unverwundbar. Doch anstatt daran zu verzweifeln, dass etwas so Grundsätzliches wie unsere Demokratie längst ins Fadenkreuz einer immer größer werdenden Masse an Extremen geraten ist, müssen wir uns in den kommenden Monaten daran festhalten, dass der Großteil der Deutschen NICHT mit diesen Meinungen übereinstimmt. Obwohl die hasserfülltesten Stimmen meist auch die lautesten sind, bilden Menschenliebe und Gerechtigkeit durchaus noch immer das Fundament unserer Gesellschaft. Solange sich die Mehrheit an unsere Pflicht der Erinnerung und unsere Rechte auf Würde, Freiheit und Gleichheit erinnert, solange unsere Verfassungsorgane nicht unter rechtsextreme Kontrolle geraten, besteht Hoffnung auf Besserung.

Mit Blick auf über 1000 Tage Krieg in der Ukraine und auf das fatale Ergebnis der Wahlen in den USA ist es unsere Pflicht als deutsche Wähler, der Politik (erneut) zu zeigen, dass wir unsere Geschichte nicht vergessen, und unsere Demokratie nicht aufgeben werden. Dafür gibt es keinen besseren Weg als das Ausfüllen des Wahlzettels—egal ob in der Wahlurne oder per Briefwahl, egal ob in Deutschland oder von Costa Rica aus.

Ausführlicher und besser ausgedrückt haben meine Mitschülerinnen und ich die Wichtigkeit von politischer Partizipation jedoch vor fast einem Jahr, deswegen hier eine Abschrift unserer Rede vom 3. Februar 2024:

Shirin Agha-Baglooie:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, verehrte Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren,

ich zitiere aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland:

Artikel 1; Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Im Jahr 2022 zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz 20.967 rechtsextremistische Straftaten. Von diesen wurden rund 1016 als Gewalttaten erfasst. Das sind im Schnitt 57 Delikte täglich.

Ich frage Sie, in was für einem Land leben wir, in dem Menschen aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen und politischen Anschauungen oder ihrer sexuellen Orientierung sowie ihrer Beeinträchtigung ins Fadenkreuz rechtsextremer Aktivisten geraten?

Mein Name ist Shirin Agha-Baglooie.

Ich habe meine braunen Augen, meine dunklen Haare und meinen Namen von meinem Vater.

Als verfolgter Friedensaktivist im Iran-Irak-Krieg, war mein Vater als junger Mann gezwungen, seine Familie und sein Heimatland zu verlassen.

1984 betrat er erstmals deutschen Boden, lernte Deutsch und legte einen deutschen Schulabschluss ab, besuchte eine deutsche Hochschule.

1996 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Sind mein Vater und alle an seiner Statt nun geringere „Deutsche“, weil er in einem anderen Land geboren wurde?

Macht unser Name, unsere Haut- und Haarfarbe oder unsere Augenfarbe uns weniger „assimiliert“?

Ich frage Sie, in was für einem Land leben wir, in dem Bundestagsabgeordnete die sogenannte „Remigration“, die Ausbürgerung und Deportation deutscher Staatsbürger befürworten?

“Wahlen allein machen noch keine Demokratie”, sagte Barack Obama einst.

Und wenn uns Vergangenheit eins gelehrt hat, dann dass die Demokratie keineswegs zum Mittel Einzelner werden sollte, ihre ideologischen Visionen zu realisieren – Sie hat uns gezeigt, was unseren Sozialstaat ausmachen sollte. Wie schützenswert unsere Verfassung ist. Wie fundamental Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und die Achtung der Menschenwürde für unser Zusammenleben sind.

Als Kind habe ich zu meiner Mutter gesagt: „Mama, ich bin so froh das Glück zu haben, in Deutschland geboren zu sein – hier aufzuwachsen.“

Ich stehe hier vor Ihnen, in der Hoffnung, dies auch eines Tages von meinen Kindern zu hören.

Die Zukunft liegt in unseren Händen.

Es ist Zeit, dass wir unser Schweigen brechen.

Es ist Zeit, Diskriminierung und Hass ein Ende zu setzen.

Es ist Zeit, dass sich Dinge ändern.

Wir Meckenheimer stehen heute vor dem Rathaus beisammen, um unseren Stimmen in der Welt Gehör zu verschaffen. Ebenso, wie jedes einzelne Kreuz auf den Stimmzetteln in der Wahlurne, zählt jeder von Ihnen hier auf diesem Platz - denn unsere Stärke heißt Vielfalt.

Ich bin stolz auf die demokratischen Werte der Bundesrepublik Deutschland.

Ich bin stolz, meine Stimme für die Erhaltung dieser Werte zu erheben.

Ich bin stolz, als eine von Ihnen für die Prinzipien unserer Demokratie einzustehen.

Johanne Wolowski:

Ich zitiere aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland:

Artikel 3; Absatz 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“

Wir stehen hier, weil es uns als Schüler*innen wichtig ist, auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass Meckenheim bunt ist.

Wir Meckenheimer*innen sind alle unterschiedlich. Wir sehen unterschiedlich aus, wir haben eine unterschiedliche Religion und ein unterschiedliches Alter.

Trotzdem sind so viele heute hier erschienen, weil es uns egal ist, ob wir uns unterscheiden. Es ist egal, ob jung oder alt, ob arm oder reich, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte.

Wir sind hier um uns gemeinsam als Meckenheimer*innen für Demokratie einzusetzen. Es liegt in unserer Verantwortung, dieses Gut zu beschützen um Liebe, Toleranz und Freiheit zu bewahren.

Wenn wir verhindern wollen in einem Land zu leben, das

• Inklusion im Bildungssystem stoppt

• Das Gleichstellungsgesetz abschafft

• Diskriminierung fördert

• Den menschengemachten Klimawandel leugnet

• Abschiebungsoffensiven stärken will

• Journalismus aus seriösen Quellen verhindert

• Öffentliche Nachrichten leugnet

• Keine Meinungsfreiheit akzeptiert

• Verfassungsfeindliche Parteien stärkt

Dann müssen wir verhindern, dass Leute, die unsere Demokratie gefährden, an die Macht kommen.

Wir als Schüler*innen finden es essentiell, dass Projekte wie Juniorwahlen und Gedenken der Reichsprogromnacht bestehen bleiben, um den demokratischen Gedanken zu vermitteln und an unsere Geschichte zu erinnern.

Lasst uns gemeinsam ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und für unsere Demokratie setzen.

Denn allen von uns ist klar: Wir dürfen nicht wegsehen, wenn unsere Demokratie auf dem Spiel steht.

Meckenheim ist und bleibt bunt.

Ich bin stolz auf die demokratischen Werte der Bundesrepublik Deutschland.

Ich bin stolz, meine Stimme für die Erhaltung dieser Werte zu erheben.

Ich bin stolz, als eine von Ihnen für die Prinzipien unserer Demokratie einzustehen.

Rebecca Bauer:

Ich zitiere aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland:

Artikel 20; Absatz 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Dies ist der Ansatz, auf dem Deutschland gebaut wurde: Ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Die Achtung der menschlichen Freiheiten, der Gleichberechtigung vor dem Gesetz und der unantastbaren Würde des Menschen.

Dies ist der Ansatz, den wir nie zu verlieren wagen dürfen.

1947 sagte der britische Premierminister Winston Churchill: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen—abgesehen von allen anderen.“

Demokratie ist nicht perfekt. Sie ist nicht selbstverständlich. Sie ist zerbrechlich. Sie ist manipulierbar. Sie ist angreifbar. Aber sie ist die beste und die einzige Möglichkeit, die wir haben, wenn wir in einem gerechten, freien und sozialen Staat leben wollen.

Meinungsbildung und Partizipation sind die Grundsteine der Demokratie. Unser Staatssystem funktioniert nicht, wenn wir uns nicht politisch informieren, positionieren und im Rahmen damit agieren. Jeder von uns muss eine Entscheidung treffen, die über das Kreuzchen in der Wahlurne hinausgeht. Die politische Ausrichtung unseres Landes darf uns nicht „egal“ sein. Denn auch die Zukunft unseres Landes ist keineswegs „egal“.

Wenn eine sogenannte Meinung aber beginnt, die Existenz unserer Mitmenschen zu despektieren, dann ist das keine Meinung mehr. Es ist nur noch Hass.

Lasst uns ganz deutlich sein:

Rassismus ist keine Meinung.

Ausgrenzung ist keine Meinung.

Hass ist keine Meinung.

Und nichts davon findet in unserer Demokratie einen Platz.

In den letzten Wochen allein sind mehr als eine Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Rechtsruck in der deutschen Politik zu demonstrieren. Gemeinsam zeigen wir, dass wir bereit sind, für unsere Demokratie einzustehen. Wir zeigen, dass wir die Verbreitung von antidemokratischen Ideologien nicht zulassen werden. Wir zeigen, dass wir uns unsere Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenliebe nicht werden wegnehmen lassen.

Einige Mitglieder dieses Staates wollen unsere Demokratie als Mittel benutzen, um selbst an die Macht zu kommen und ihre hassvolle Ideologie durchzuführen. Aber Demokratie ist kein Mittel zum Zweck. Demokratie ist das Ziel. Wir werden nicht still zusehen, wie unser demokratisches System missbraucht wird. Wie unsere Mitmenschen ausgegrenzt werden. Wie eine antidemokratische Ideologie immer weiter an Macht gewinnt.

In diesem Land, von meiner Schule und ganz besonders von meinen Eltern wurde ich erzogen, mir fundierte politische Meinungen auf Basis von Fakten zu bilden, und mich aktiv für diese einzusetzen. Ich mag noch keine lange Vergangenheit haben, aber ich habe eine lange Zukunft vor mir. Und ich gedenke, diese weiterhin in einem Land zu verbringen, auf dessen Umsetzung des demokratischen Gedankens ich stolz sein kann.

Ich bin stolz auf die demokratischen Werte der Bundesrepublik Deutschland.

Ich bin stolz, meine Stimme für die Erhaltung dieser Werte zu erheben.

Ich bin stolz, als eine von Ihnen für die Prinzipien unserer Demokratie einzustehen.